website security Das bemerkenswerte Leben von René Leudesdorff
Die Befreiung Helgolands 1950 - 1952
Wahrheit gegen Legendenbildung - Authentische Antwort eines Beteiligten
Buchtitel Wir befreiten Helgoland

Das Wochenende 23. bis 25. Oktober 2009 verbrachte ich auf Helgoland, eingeladen von einem besonderen Menschen, den ich vor etwa fünfzehn Jahren kennen lernte, als ich Vorsitzender der
Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialmarketing (heute Deutscher Fundraising Verband) und er Kommunikationschef bei der Christoffel Blindenmission in Bensheim war: René Leudesdorff. Damals wusste ich nicht, welch bunten Lebensweg er schon hinter sich hatte. Nachzulesen ist das bei wikipedia.de unter seinem Namen.
Leudesdorff und Georg von Hatzfeld befreiten am 20. Dezember 1950 aus Abenteuerlust und Neugier, aber gewiss auch aus der tiefen Überzeugung, dass man Menschen ihre Heimat nicht nehmen darf, fast im Alleingang Deutschlands einzige Hochseeinsel Helgoland von britischer Besatzung. Die beiden Heidelberger Studenten besetzten unter den Augen informierter Journalisten die Insel und erreichten zusammen mit anderen, vor allem Hubertus Prinz von Löwenstein, einen Stopp der Bombardements durch die britische Luftwaffe, die das völlig zerstörte Eiland als Traningsstätte für ihre Bomberpiloten benutzte. Ein gutes Jahr später, am 1. März 1952, war Helgoland frei und wieder in den Händen der Helgoländer. Das alles ist in dem spannenden Buch von René Leudesdorff "
Wir befreiten Helgoland" (Hannah Verlag Stade, 4. Auflage 2007) im Detail nachzulesen.
Hatzfeld und Leudesdorff wussten nicht oder verdrängten, dass sie mit ihrer Aktion anderen zuvorkommen würden, die ähnliche Pläne hegten, aber zu lange auf den richtigen Augenblick warteten. "Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist", zitiert Leudesdorff Victor Hugo. Unter den Invasionswilligen war Hubertus Prinz zu Löwenstein, Historiker, Publizist und einstiger Widerstandskämpfer gegen Hitler und jetzt Vorsitzender der "Deutschen Aktion", Er setzte sich für die Wiedererrichtung des christlichen Abendlandes als Bollwerk gegen den Kommunismus ein. Hatzfeld hatte für kurze Zeit als Assistent bei ihm gearbeitet, bevor er ein Soziologiestudium in Heidelberg aufnahm. Der Theologiestudent René Leudesdorff kannte Löwenstein nicht und traf ihn am 29. Dezember 1950, als der Prinz mit großem Pressegefolge in Helgoland landete, offenbar zum ersten Mal. Nun entspann sich das, was Leudesdorff einen "Patentstreit" nennt um das Erstgeburtsrecht der Befreiungsidee.
Am 28. Oktober 2009 las ich bei Wikipedia unter
René Leudesdorff:
"Für diese erste deutsche gewaltfreie Aktion nach dem 2. Weltkrieg erhielten Leudesdorff und von Hatzfeld am 30. September 1993 das Bundesverdienstkreuz I. Klasse aus der Hand von Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Eine Kleinigkeit ist bei dieser Darstellung übersehen worden und auch in den Interviews, die von Leudesdorff gegeben werden, übergeht er folgendes Detail: die Planung der Idee einer friedlichen Befreiung von Helgoland war von Hubertus Prinz zu Löwenstein. Er nahm u.a. einen amerikanischen Staatsbürger mit, um damit zu verhindern, dass die Alliierten die Insel und damit die friedlichen Besetzer bombardierten. Er hatte mit Volkmar Zühlsdorff auch die Öffentlichkeitsarbeit vorbereitet. Mit in der Gruppe der Besetzer sollten die Studenten Hatzfeld und Leudesdorff sein, die natürlich in alle Details und auch den vorgesehenen Zeitplan eingeweiht waren. Die beiden jungen Männer übernahmen den Plan und setzten einen Tag vor der vorgesehenen gemeinsamen Besetzung alleine auf die Insel über - sie hofften damit wohl, den Erfolg und Ruhm für sich in Anspruch nehmen zu können. Die Darstellung der Ereignisse durch Leudesdorff kann man nicht als Lügen, aber eben auch nicht als die Darstellung der vollen Wahrheit bezeichnen. Prinz zu Löwenstein und die loyalen anderen Mitstreiter setzen ihren Plan um- und der Erfolg war die Rückgabe der Insel. - Wie von Löwenstein, Zühlsdorff und Larson geplant und erhofft. Dies sei zur historischen Wahrheit vermerkt. Löwenstein hatte durch seine frühe Emigration ,seinen mutigen Kampf gegen Hitler vor der Emigration 1933 und im Exil ein internationale Renommee und damit die erhöhte Chance auf internationale Aufmerksamkeit - diese Fakten waren notwendige Voraussetzung für das Gelingen."
Porträt Leudesdorff

Ich fragte Leudesdorff schriftlich: "Stimmt das so? Sie werden indirekt als Lügner und Aufschneider dargestellt, der die Idee eines ehrbaren Widerstandskämpfers gestohlen hat. Ich würde das gerne richtigstellen."
Er antwortete noch am 28. Oktober 2009 schriftlich: "Das ist ja eine hanebüchene Legendenbildung, die da - vermutlich aus der Quelle Volkmar von Zühlsdorff kommend - verbreitet wird. Darin werden ja Dinge phantasiert, die mir gegenüber selbst Löwenstein (in seinem Widerspruch zu von Hatzfeld) niemals erzählt hat: Dass da ein langfristiger Plan mit Datum (21. Dezember 1950) vorgelegen hätte und bereits Öffentlichkeitsarbeit angeleiert gewesen sei. Gerade dies Letztere ist total unglaubwürdig; denn sonst hätte ja einer der Presseleute (etwa Herr Binz, der Verleger der "Frankfurter Abendpost" oder Josef Müller-Marein von der ZEIT in Hamburg oder Erich Lüth, der einflussreiche Pressechef des Hamburger Senats) als wir sie im Dezember 1950 mit unserem Vorhaben kontaktierten, zumindest erwähnt, dass man schon durch Löwenstein oder Zühlsdorff über die Sache informiert sei. Weiterhin wären dann ja schon die Spitzen der Helgoländer wie H.P. Rickmers, Helgolandbüro in Pinneberg, oder Hinrich Lührs, "Halunner Moats" in Cuxhaven instruiert gewesen. Das kann also keineswegs stimmen. Die Wahrheit ist, dass mir Löwenstein selbst gesagt hat, er habe durch den Rundfunk davon erfahren und sei total erstaunt gewesen. Dann erst habe er sich eiligst nach Cuxhaven auf den Weg gemacht. Von einem ausgearbeiteten Plan mit "allen Details" und sogar einem "Zeitplan" war seinerseits nie die Rede, und das hätte er bestimmt als Argument für seine "Patentrechte" ins Feld geführt.
Er kam schließlich am 29. Dezember - siehe mein Buch "Wir befreiten Helgoland", S.90ff - zwei Tage nach unserer zweiten (!) Besetzung, auf die Insel, mit seinem jungen amerikanischen Freund Larsen, aber ohne seinen langjährigen Partner von Zühlsdorff, der während der gesamten Aktion weder auf Helgoland war noch in irgendeiner Weise sonst in Erscheinung getreten ist. Alles andere ist Legende.
Umstritten allerdings ist die Frage (und wird in meinem Buch auch als "Patentstreit" mit unentschiedenem Ausgang behandelt), wem die Idee zu der Aktion zuzuschreiben ist, Hubertus Prinz zu Löwenstein oder Georg von Hatzfeld. Dies wird wohl immer unaufgeklärt bleiben, erscheint aber, was die Autorschaft angeht, genau so unbedeutend wie die Frage, wer nach der Feststellung, dass die Erde eine Kugel ist, auf den Gedanken einer möglichen West-Passage nach Indien gekommen war, nämlich mehrere. Hingefahren, es ausprobiert, es gewagt hat es(wenn auch noch vergeblich) Christobal Columbus! Und ihm bleibt - mit Amerigo Vespucci freilich - der Ruhm, wenigstens der Entdeckung Amerikas (obgleich davor schon die Wikinger waren; aber es gab auch Helgoländer, die illegal um die Insel gefischt und auf der Insel Schrott in Mengen gesammelt haben, aber da gab es nie eine politische Demonstration, erst nach unserer und der britischen Freigabe-Erklärung fand Ende Mai 1951 eine "Fischerinvasion" statt, wurde aber noch im Helgoländer Hafen abgebrochen).
Unbestritten hingegen bleibt das Verdienst von Löwenstein, bei den Inselbesetzern (gegen Hatzfeld aber mit mir) die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass wir mit dem Satz "Wir weichen der Gewalt" bei Abholung durch die Briten die Insel ohne tätlichen Widerstand verlassen und also die Sache nicht auf die Spitze treiben (etwa, wie Hatzfeld es wollte, sich fesseln und wegtragen zu lassen). Grund für dieses maßvolle Verhalten: der britischen Seite die Chance zu geben, das Gesicht zu wahren und die Insel alsbald - wie es auch geschah - quasi "aus freien Stücken" zurückzugeben (s. mein Buch S. 144ff). Und es bleibt auch sein Verdienst, als der einstimmig von der 16-köpfigen Besetzer-Gruppe gewählte Sprecher die Verhandlungen mit den britischen Offizieren geführt zu haben und später auf dem Schiff durch geschicktes Argumentieren die Briten zur Abänderung des Befehls des Land Commissioners in Kiel gebracht zu haben, man habe uns in Brunsbüttel (weitab auf der anderen Elbseite!) und nicht in Cuxhaven an Land zu setzen. Dort erwarteten uns bei der Ankunft viele Presseleute und - bei einer Abendveranstaltung - Aberhunderte begeisterte Menschen."
So weit Leudesdorff, der mich ausdrücklich autorisiert hat, seine Antwort ins Internet zu setzen.
Dr. Christoph Müllerleile Oberursel/Taunus

Letzte Predigt dem Frieden gewidmet
"Dies ist für mich ein besonderer Tag", eröffnete der emeritierte Pastor Leudesdorff seine Abschiedspredigt am 29. Sonntag nach Trinitatis, am 25. Oktober 2009 in der St. Nicolaikirche Helgoland. An der Seite von Inselpastor Matthias Dittmar, den er drei Wochen vertreten hatte, verabschiedete er sich von der Gemeinde. Seit 1996 hatte er zum 12. Male einen Vertretungsdienst in der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde auf Helgoland übernommen.
Die letzte Predigt stand unter dem Leitwort: Liebet eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen. Von den versammelten Gläubigen forderte er Mut zur Wahrheit, Vertrauen statt Angst und stark sein durch Liebe. "Am Beispiel Helgolands lehrt die Bibel: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm. 12,17). Die nackte Gewalt – auch die getarnte – führt zu nichts, auch im 21. Jahrhundert nicht. Vergeltung ist und bleibt die kostspieligste weil zukunftslose Politik, zwischen uns Einzelnen wie zwischen Nationen. Unser Überleben hängt davon ab, ob wir von Jesus die Vernunft der Liebe lernen und dazu die Verheißung, die sie in sich trägt: (Mt 5,5.9) Selig die sanften Mutes sind; sie werden das Erdreich besitzen. Selig, die Frieden stiften; Gottes Kinder werden sie heißen."
Hier ist die Predigt im Wortlaut, auch zum Herunterladen.
Am Gottesdienst nahm Bürgermeister Frank Botter teil. Anschließend trafen sich zahlreiche Gottesdienstbesucher noch im Gemeindehaus zum Kirchenkaffee mit Leudesdorff und seinem Amtsbruder Dittmar.
Während seiner letzten Vertretung machte Leudesdorff zahlreiche Hausbesuche bei alten Freunden und Bekannten. Er sah auch auch noch einmal auf dem Leuchtturm um, der ihm 1950 als Flakturm und einziges erhaltenes Gebäude auf der Insel Unterschlupf gewährt hatte. Carsten Keden, Leiter des Außenbezirks Helgolands des Wasser- und Schifffahrtsamt Tönning und so etwas wie ein moderner Leuchtturmwärter in einem der wenigen noch bemannten Leuchttürme weltweit, öffnete ihm die Türen und erklärte die Nutzung der Räumlichkeiten des Turms, die Leudesdorff damals noch ganz anders erlebt hatte.
Leuchtturm mit Leudesdorff
Leuchtturm mit Leudesdorff

So wenig Platz blieb uns damals zum Übernachten. Eingerollt in eine einzige Decke, dann zusätzlich in die mitgebrachten Fahnentücher, überstanden die "Invasoren" im verlassenen, aber weitgehend unzerstörten Flakturm die kalten Nächte im Dezember 1950 und Januar 1951 auf Helgoland. Die insgesamt zwei Wochen auf der Insel haben Leudesdorffs Leben gründlich umgekrempelt. Er blieb beim Theologiestudium und wurde Pfarrer, aber genauso intensiv betrieb er später professionelle Öffentlichkeitsarbeit innerhalb der evangelischen Kirche und Diakonie.
Blick vom Leuchtturm in Richtung Südhafen, wo die Invasoren landeten und von wo sie sich den Weg über Trümmer und Bombentrichter zum ehemaligen Flakturm bahnten.
Leudesdorff auf Leuchtturm

Auch an einer
Bunkerführung mit Rolf Blädel nahm Leudesdorff teil. Mit Jörg Andres vom Inselmuseum machte er Pläne für eine Ausstellung Ende 2010 aus Anlass des 60. Jahrestages des Beginns der Inselbefreiung.

Anerkennung verweigert
Was die Geschichte der Befreiung Helgolands angeht, so spricht es nicht für die Helgoländer, dass weder Leudesdorff noch Hatzfeld noch Prinz Löwenstein Straßennamen gewidmet sind, noch einer von ihnen je Ehrenbürger geworden ist. "Hatzfeld hat zu mir schon gesagt, dass die Helgoländer nichts so übel nehmen wie die Tatsache, dass nicht sie als erste die Initiative zur Befreiungstat ergriffen haben, sondern wir zwei unbedarfte Studenten", schmunzelt Leudesdorff. Stattdessen gibt es nun einen "Invasorenpfad" vom Hafen zum heutigen Leuchtturm, der zeigt, wo die Eindringlinge von 1950 entlanggingen, um zum Flakturm, dem einzigen festen Unterschlupf gegen Wind und Wetter, zu gelangen.
Hatzfeld und Löwenstein sind tot. Den letzten Überlebenden, René Leudesdorff, ernannte 2008 die 2.200 Einwohner-Stadt Jerichow in Sachsen-Anhalt, um deren Klosteranlage er sich viel später verdient gemacht hat, zum Ehrenbürger. Die 1.300-Seelen-Gemeinde Helgoland hat das nicht über sich gebracht, aber immerhin eine Form der Ehrung gewählt, die der Ehrenbürgerschaft ziemlich nahe kommt. Am 19. Dezember 2010 wurden Georg von Hatzfeld posthum und René Leudesdorff bei einem Festakt auf Helgoland zu „Verdienten Bürgern der Gemeinde Helgoland“ ernannt, nachdem die Gemeindevertretung einstimmig einen entsprechenden Beschluss gefasst hatte.
Gedenken an friedliche Besetzung Helgolands
Gedenken an friedliche Besetzung Helgolands
Gedenken an friedliche Besetzung Helgolands
Gedenken an friedliche Besetzung Helgolands

Kluger Zurückhaltung bei der Unterstützung der ungebetenen Inselinvasoren rühmen sich die Helgoländer auf offiziellen Darstellungen, wie hier auf den für geschichtsbewusste Touristen bestimmten Pyramiden an Spazierwegen im Oberland. Gehisst haben die Studenten auch die Fahnen Deutschlands und Helgolands. Fotos: Müllerleile

Hier spricht René Leudesdorff selbst
Mitschnitt während einer Bunkerführung auf Helgoland am 24. Oktober 2009. René Leudesdorff äußert sich auf Befragen der Teilnehmer spontan als Zeitzeuge. Video: Christoph Müllerleile
Am 5. Juni 2012 starb René Leudesdorff an seinem letzten Wohnort Flensburg. Hier der Trauerbrief der Familie.
Traueranzeige Leudesdorff

Nachrufe auf den Verstorbenen:

Theologe und Publizist René Leudesdorff gestorben“, epd in Echo online 12.06.2012
Helgoland-Befreier René Leudesdorff gestorben“, in Hamburger Abendblatt 7. Juni 2012
Friedlicher Besetzer von Helgoland ist tot“, in Welt online 6. Juni 2012
Jerichow trauert um seinen Ehrenbürger René Leudesdorff“ in Volksstimme 9. Juni 2012
Der Befreier Helgolands ist tot“ dpa-Bericht in T-Online News 6. Juni 2012
Ein Mann der Tatkraft“ Glaube + Heimat Mitteldeutsche Kirchenzeitung 17. Juni 2012